- Wie Respektlosigkeit den Schulerfolg gefährdet

 
(Illustration: Gerd Altmann/pixabay)

Zunehmende Verrohung des Schulwesens 

Was uns Lehrende im heutigen Schulbetrieb sehr in unserer Arbeit behindert, ist die immer stärker um sich greifende Respektlosigkeit aus Teilen der Schülerschaft. Die Betonung liegt auf "Teilen", denn es gibt auch viele positive Gegenbeispiele. Doch diese geraten immer mehr in die Defensive, weil sie sich zunehmend nicht mehr als richtungsgebend erleben.

Die Vorstellung von Schule ist stark bestimmt vom Gemeinschaftsgedanken, der auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen aufbaut. Erfolgreiche Lernprozesse, die möglichst viele mitnehmen, funktionieren ohne diesen Gedanken nicht. Doch auch wenn man oftmals in Kollegien und Schulleitungen versucht, gute Miene zu machen, liegt doch ziemlich viel im Argen.

Lehrer-Schüler-Beziehungen: Falsche Asymmetrie

Vor vielen Jahren waren Lehrer-Schüler-Beziehungen regelmäßig asymmetrisch. Da war der Lehrer die unumstrittene Autoritätsperson, hatte unhinterfragt immer Recht, und der Schüler hatte sich bedingungslos unterzuordnen. Lernen in einfacheren Strukturen kann tatsächlich so funktionieren. Aber erstens brauchen wir heute ein wesentlich komplexeres Lernen und haben - zweitens - eine wesentlich komplexere Gesellschaft. Da stößt man mit autoritären Formen schnell an die Grenzen. Und mit Gemeinschaft hat das ohnehin nichts zu tun. Asymmetrie war damals also falsch.

Partnerschaftliche Schule - wäre das dauerhaft gegangen?

Danach schloss sich eine Phase echter Partnerschaftlichkeit zwischen Lehrenden und Lernenden an. So hat es meine Generation der Baby Boomer erlebt. So sind wir sozialisiert und so möchten wir gerne unsere eigene Arbeit in der Schule machen. Doch da unsere Generation im deutschen Schulwesen, obwohl zahlenmäßig im Erwerbsmarkt die deutlich stärkste Gruppe, genauso deutlich unterrepräsentiert ist, hat sich diese kollektive Erfahrung offenbar nicht auf den Schulbetrieb auswirken können. Denn als wir unser Abitur machten, lief gerade die Lehrerarbeitslosigkeit zu immer neuen Rekordzahlen hoch. Die Plätze waren alle schon belegt. Neuen Bedarf gab es kaum. Das schreckte natürlich ab. Aus meiner alten Klasse vom Gymnasium mit 36 Schülerinnen - wir treffen uns heute immer noch in der Konstellation der Untersekunda (10. Jahrgang) - bin ich meines Wissens die Einzige, die sich letztlich für die Schule entschieden hat.

Neue Asymmetrie - diesmal umgekehrt, genauso falsch

Im Gegensatz dazu besteht die heutige Asymmetrie aus der Umkehrung des früheren Verhältnisses. Darin seine Position zu finden, ist selbst für alte Hasen ziemlich schwierig. Und junge Kolleg*innen werden sofort in die heutigen Missverhältnisse sozialisiert. Sie kennen es gar nicht anders. Und dieses Missverhältnis lautet meines Erachtens:

Schüler*innen können sich (beinahe) alles herausnehmen. Lehrer*innen gehen sehr schnell die Möglichkeiten aus, korrigierend einzugreifen. Der Lehrer darf Respektlosigkeit nicht angemessen - also im Verhältnis zu deren Schweregrad - beantworten. 

Wer jetzt als angemessen ansieht, auf früher praktizierte Methoden wie die Schläge mit dem Rohrstock auf die Hand oder den Karzer zurückzugreifen, macht es sich zu einfach. Da gibt es wesentlich wirksamere - und vor allen Dingen schulpsychologisch begründbare - Formen der Sanktion. Und die sieht das Schulrecht ja auch vor. Das Problem ist nur, dass dieses Recht der Schule zu inkonsequent angewandt wird.

Hilfe - die Vandalen kommen

Denn es ist sogar so, dass - wenn er oder sie einmal zu einer sachlich angemessenen Reaktion greift - Teile aus der Elternschaft regelrecht über den Lehrer herfallen. Da werden Schulleitung und Lehrkraft beaufschlagt und genervt, bis hin zu Nötigungen und Erpressungen. Und mit der Rechtsanwaltsschwemme kam auch die Überjuristifizierung aller Lebensbereiche, somit auch der Schule. Da werden dann die abenteuerlichsten Konstrukte aufgebaut, die vor Gericht sowieso keinen Bestand haben.

Da es jedoch immer weniger Menschen - repräsentativ auch beim Schulpersonal - mit konsequent selbstbewusster Zivilcourage gibt, wird sich oftmals einfach nur untergeordnet. Man könnte sagen: Wer am lautesten und am dreistesten auftritt, gewinnt. Keine gute Ausgangslage für die Erziehung des Nachwuchses zu Bürger*innen dieses Landes. Da  werden auch so manche Schulleiter und Schulleiterinnen ganz klein und knicken vor der Dreistigkeit ein. Man geht den Weg des geringsten Widerstandes. Offenbar hat auch sie oft schon der Mut verlassen. Und tatsächlich ist sogar schon vorgekommen, dass der einzelne Lehrende ziemlich alleine dasteht, weil er keine Rückendeckung durch Vorgesetzte erfährt. Auch das meine ich in meinem Post vom 28. September mit "immer mehr führungsschwachen Schulleitungen".

Hilflose Lehrer - ...

Schüler*innen lernen heute deshalb schnell, dass man einen Lehrer leicht "fertig machen" kann. Die Krankenstände von Lehrern und Lehrerinnen sprechen für sich. Ebenso wie die immer flächendeckenderen Meldungen über Gewalt ihnen gegenüber - psychische und physische Gewalt. Ich denke, die Mehrheit kann hierüber aus eigener Erfahrung berichten. Doch nicht jeder geht sofort in die Knie. Und wenn man seine Arbeit liebt, hat man sehr viel Resilienz, also psychische Widerstandskraft. Ordnet man sich nicht unter, kann es jedoch schnell in strategisches Mobbing übergehen. Dann geht es nach dem Motto: Mal schauen, wer den längeren Atem hat. Da wird schon einmal die ganze Familie eingespannt. Auch keine Lösung. Man kann einiges lange durchhalten. Doch wie heißt es? Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Ich habe Kolleg*innen erlebt, die deshalb langzeitkrank oder erwerbsunfähig wurden.

... - bankrotte Lernprozesse

Doch was hat diese asymmetrische Beziehung zwischen Lehrern und ihren Schülern mit dem Lernerfolg zu tun. Nun, ganz einfach. Lernprozesse erfolgen stark über Modelllernen. Und Modelllernen braucht Vorbilder. Ein sich unterordnender, opportunistisch unterwürfiger Lehrer ohne klare Haltung zu respektlosem Verhalten von Schülern ist in ihren Augen eine meinungslose Unperson - deutlicher aus Schülermund: ein Schlappschwanz. Kann sich also a priori keinen Respekt verschaffen. Er wird niemals als Vorbild dienen können. So wird alles, was er einer Klasse vermitteln möchte, entsprechend eingeordnet. Einzig die Sanktionen durch das Notensystem können hierbei noch Einfluss auf das Lernverhalten nehmen. Dies ist jedoch rein technisch zu sehen. Soziales Lernen steht dabei hintan. Legt man keinen Wert auf soziales Lernen, kann man den Lehrer auch als reinen Moderator von lerntechnischen Prozessen  - hierzu gehört auch das selbstgesteuerte Lernen - betrachten. Hierbei meint der Begriff "lerntechnische Prozesse" nicht nur Lernen mit Hilfe von z.B. digitaler Technik, sondern generell mechanistische Lernprozesse aus Input und Output. In einer Schule kommt es jedoch besonders auf das soziale Lernen an. Sonst könnte man Schulen als Wissensfabriken bezeichnen, die sie selbstredend nicht sind. Schulen arbeiten handlungsorientiert.

Wenn wir den Lehrer als Modell annehmen, ist der Lernerfolg am größten, wenn von den Lernenden beobachtet werden kann, dass das Modell positiv bestärkt wird durch Achtung, d.h. Aufmerksamkeit und Respekt. Die Erziehungswissenschaft hat in den letzten 20 Jahren den Fehler gemacht, diesem Aspekt zu wenig Beachtung zu schenken. Respektlose bis anarchische Verhaltensstrukturen bei den Schüler*innen waren vorprogrammiert. Die fatale Unterordnung vieler Eltern unter ihre Sprösslinge - und das trifft nach meiner Beobachtung bildungsnahe Familien viel stärker als bildungsferne - mündet in die Widerspiegelung der Strukturen in den Klassenzimmern. Ein sich gegenseitig bestärkender Entwicklungsprozess, der sicherlich nicht in Einklang mit dem jeweiligen Schulgesetz zu bringen ist.

Schlechte Aussichten für die Schulfähigkeit

Technische und soziale Lernprozesse müssen Hand in Hand gehen, damit aus reiner Wissensvermittlung handlungsorientiertes Lernen werden kann. Wenn auf der einen oder der anderen Seite gravierend etwas im Argen liegt, bleibt das handlungsorientierte, also langfristig verinnerlichte, Lernen auf der Strecke. Das behindert Lehrer*innen in ihrer Arbeit und Schüler*innen in ihrem Lernnutzen. Ein deutliches Zeichen hierfür ist die beobachtbar abnehmende Ausbildungseignung, welche die Wirtschaft beklagt.

Wie sehr sich dieser Missstand auf den Nachwuchs auswirkt, lässt sich gut an Kindern beobachten, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Sie hatten aufgrund ihrer bisherigen Sozialisation durchaus noch Respekt vor den Eltern, vor Älteren, vor Lehrern im Gepäck. Doch in ihrer Suche nach Orientierung lernen sie nach meiner Beobachtung von einheimischen Mitschüler*innen schnell die Verhaltensstrukturen aus Respektlosigkeit und Verachtung. Ebenfalls ein sich selbst verstärkender Entwicklungsprozess.

So zerstören diese destruktiven Entwicklungen letztlich Lern- und Gesellschaftsfähigkeit und damit den Schulerfolg ganzer Generationen, womit keine Einser-Durchschnitte gemeint sind. Denn viele machen sich nicht bewusst, dass es zu einem mündigen und selbstständigen Bürger mehr braucht als einen Einser-Durchschnitt im Zeugnis.