- Wie sich Apple bei der Digitalisierung deutscher Schulen ins Aus schoss

(Foto: SeppH/pixabay)

Das Landessozialgericht Niedersachsen hat mit seinem Urteil über einen Fall in Celle die Beschaffung und Nutzung von Apple-Produkten durch staatliche Schulen als Rechtsbruch gebrandmarkt (vgl. Spiegel online vom 02.11.2020, aufger. am 02.11.2020, 20:30). Doch um Hintergründe zu erklären, warum das Gericht zu diesem schwerwiegenden Urteil gekommen sein könnte, möchte ich mit der Geschichte über Apple und seine Konkurrenz einsteigen, die in den 1990er Jahren begann:

Eine kleine Geschichte über Gefangenschaft

Als ich Mitte der 90er meinen ersten Apple-PC, einen Macintosh Quadra 450, im Arbeitszimmer stehen hatte, war ich mächtig stolz. Inklusive des Zubehörs wie Apple-Laserwriter und entsprechender Software kam man auf einen Preis, der eines Autos der damaligen Kompaktklasse würdig gewesen wäre.

Doch bei Grafikfähigkeit, Programmauswahl, Robustheit gegen Störungen des Betriebssystems und Anwenderfreundlichkeit gab es für das Arbeitsfeld Publishing zur damaligen Zeit (bis 1996) nichts Besseres. Zudem galt Apple als DIE Schmiede für Innovationen. Man war also immer am Ball damit. Die Sache hatte allerdings einen nicht unerheblichen Haken. Ich war auf der Apple-Plattform sozusagen gefangen, in vollständiger Abhängigkeit von deren Produkten, denn Alternativen wurden durch die protektionistische Produktpolitik ausgeschaltet. Jede Kleinigkeit, jedes Programm, jeder Baustein des Computers mussten ausschließlich von Apple kommen - zu gepfefferten Preisen. Halt die Preise eines Monopolisten, der sich Konkurrenz erfolgreich vom Hals hält, weil anderes nicht passte.

Da ich auch einen PC mit Microsoft-Betriebssystem und -Oberfläche hatte, konnte ich immer vergleichen. Ich konnte die Programme und das Zubehör, das ich auf meiner offenen PC-Plattform nutzte, nicht auf den Apple übertragen. Schnell merkte ich , dass die Konkurrenz von Apple auf der Überholspur war, nachdem sie in wenigen Jahren Apples Vorsprung aufgeholt hatte. Folge: Der Apple wurde ausgemustert, und seitdem arbeite ich auf anderen Plattformen, die untereinander kompatibel sind.

Streitereien und ein genialer Marketing-Trick

So fiel Apple seine Produktpolitik bei PCs und Notebooks allmählich auf die Füße. Denn Microsoft hatte inzwischen das bessere Marketing, aber auch mindestens gleichwertige Produkte - teilweise sogar bessere. Das machte Apple so sehr zu schaffen, dass das Unternehmen vor der Pleite stand, nachdem es jahrelang herumgekrebst war. Zugleich verließ Apple zu jener Zeit der Erfindungsgeist. Das hatte natürlich auch finanzielle Gründe, denn Neuentwicklungen verschlingen sehr viel Kapital.

Bis Apple - und das war sicher eine riesige Kraftanstrengung gewesen - das Smartphone entwickelte. Man kann sagen, dass das iPhone die Weichen für die Entwicklung aller anderen Smartphones stellte. Es gab zwar schon einige vielversprechende Ansätze, aber Apple machte den größten Sprung. Doch die Konkurrenz schlief auch diesmal nicht, und mit Nokia, Motorola und Samsung machten sich gleich mehrere kapitale Konzerne daran, dem iPhone seinen Platz streitig zu machen.

Und Streit war es auch, was das Verhältnis von Apple zu seinen Konkurrenten lange bestimmte. Apple wollte nicht glauben, dass seine Entwicklung gar nicht so exklusiv war, dass nicht andere clevere Entwickler hätten mithalten oder sogar bessere Lösungen erschaffen können. Man verstrickte sich jahrelang in Gerichtsprozesse darüber, wer bei wem abgeschaut hatte. Doch inzwischen scheint man sich mit der Konkurrenz außergerichtlich geeinigt zu haben (vgl. GIGA vom 18.07.2019, aufgerufen am 03.11.2020, 12:10).

Und so kam es, dass die Konkurrenz Apple nicht nur einholte, sondern wieder einmal überholte. Am Ende versuchte Apple mit einem an Lifestyle und Image orientierten Marketing-Trick, insbesondere jüngere Käufer von seinen Produkten, zu denen sich inzwischen Tablets gesellt hatten, zu überzeugen. Das war auch bitter nötig, denn Apple drohte erneut wirtschaftlich abzurutschen. Man hatte sich besonders auf das iPhone als betriebswirtschaftlichen Träger des immer stärker aufgeblähten Konzerns aus dem Silicon Valley konzentriert. Wenn das schief ginge, wäre es das mit Apple gewesen. 

Die Investoren fassten wieder Vertrauen und ihre Rechnung ging auf, da die Konsumenten immer unkritischer und uninformierter, gleichzeitig aber immer anfälliger für Oberflächlichkeiten wurden. Die Aktie vervielfachte sich und spielte dem Konzern die nötigen Milliarden in die Kasse, um die iPad-Linie zu entwickeln und weiterhin ein überdurchschnittlich teures Marketingkonzept zu finanzieren. Insider machen sich manchmal darüber lustig, wenn sie davon sprechen, dass Apple die weltweit größte Werbeagentur sei. Es komme nicht mehr auf die messbaren Eigenschaften von Produkten an, sondern lediglich auf ein durch Werbung künstlich erzeugtes Bild - ein Image. Den Investoren schmeckte diese Entwicklung jedenfalls, und so stieg der Kurs der Apple-Aktie immer weiter.

Apple kam außerdem entgegen, dass es immer weniger technisch versierte Konsumenten gibt. Solche Kunden wiegen sich in dem Glauben, sie hätten das einzige richtig gute Gerät. Es sind meist User, die es schätzen, alles mundgerecht serviert zu bekommen, ohne die Hintergründe eines Vorgangs zu kennen. Digitale Kompetenz lässt sich damit nicht erreichen. Vielmehr gerät es für sie zur Glaubensfrage. Dann lässt sich ihnen auch mehr Geld aus der Tasche ziehen. Insbesondere jüngere Menschen definieren sich oftmals über ihr Smartphone und sind bereit, irrational hohe Preise dafür hinzunehmen. Der Apple-Shop ist ihr Tempel und Steve Jobs (R.I.P.) ihr Messias.

Ausblick einer fragwürdigen Produktpolitik

Apple blieb bis heute seiner protektionistischen Produktpolitik treu - vielleicht aus reiner Verzweiflung. Denn es dürfte schwierig für den Konzern werden, sich zu öffnen. So ist man heute noch als Apple-User in einem Universum aus Apple-Produkten gefangen, weil das Unternehmen die Konkurrenz weiterhin ausschließt. Dies ist umso verheerender für die User, als die Konkurrenz schon vielfach weiter ist. Und mit dem Argument, Apple-Produkte sind aus Metall und deshalb robust, kann man selbstredend kein technisches Produkt rechtfertigen, bei dem es auf ganz andere Qualitäten ankommt. Die mit diesem Argument verbundene Implikation, andere Geräte würden auseinanderfallen, ist natürlich völliger Unsinn.

Mit seiner Produktpolitik hat sich Apple im deutschen Schulwesen meiner Meinung nach sozusagen ins Aus geschossen. Denn Schulen als, zur Neutralität verpflichtete, staatliche Einrichtungen dürfen einen Protektionisten wie Apple, der die Schulen ohne Ausweichmöglichkeit auf alternative Produkte von sich abhängig macht, gar nicht auswählen. Darauf bezieht sich auch das Landesgericht in seinem Urteil. Das schließt Schenkungen von Apple mit ein, wobei diese auf dem Hintergrund von Transparency-Normen zu prüfen sind. Aus diesem Grund lehnen Schulen solche Schenkungen - getarnt als Sponsoring - regelmäßig ab.

Apple ist es gewohnt, mit Privatschulen zu arbeiten, denn staatliche Schulen spielen in Ländern wie den USA keine große Rolle. Im Privatbereich hingegen ist man an staatliche Beschaffungsnormen nicht gebunden, weshalb Apple in Deutschland insbesondere dort auch weiterhin versuchen dürfte, Fuß zu fassen, wenn die Bastion staatlicher Schulen für den Konzern nicht einnehmbar ist.

Wegweisendes Urteil

Das Landessozialgericht Niedersachsen (Az.: L7 AS 66/19) reflektiert in seiner Urteilsbegründung die hier dargestellten Probleme und kommt zu dem Schluss, dass die Entscheidung von Schulen zu Gunsten einer in sich geschlossenen und Konkurrenz ausschließenden Produktwelt, wie Apple sie darstellt, einen klaren Rechtsbruch darstellt.

Dieses Urteil dürfte wegweisende Wirkung haben, denn es legt den Finger in die Wunde, was passieren würde, wenn Schulen in der Praxis zu Gunsten von Apple-Produkten ungehindert fortfahren würden. Dann wäre das staatliche Schulwesen in einigen Jahren bei der Digitalisierung technisch und damit auch finanziell ausschließlich auf Apple und dessen Peripherie-Produkte angewiesen. Ein Ausbruch aus dieser Abhängigkeit wäre nur unter nicht vertretbaren finanziellen und (informations)logistischen Anstrengungen möglich - und würde die Schulen abermals ins digitale Chaos stürzen.

 

LINK-Name